Samstag, 7. Januar 2006
Mousse in Perfekter Konsistenz
Mein Beitrag zu Don Alphonsos DALI und DADA Award

Wir hatten uns zur Party bei A. verabredet. Vorher bündeln wir noch unsere Kräfte. Wir wollen die Party bereichern. Ihr Beitrag: Ihr Lächeln. Mein Beitrag: Die Mousse au Chocolat. Damit die Mousse durchziehen und ihr volles Aroma entwickeln kann treffen wir uns schon morgens bei mir. Als Sie kommt, habe ich die Küche schon bereitet: Die grotesk luxuriöse 65%-Schokolade liegt bereit. 200 Gramm davon und schmiegen sich an den Whiskey. Talisker, 16 Jahre. Die Butter liegt bereit. Im Kühlschrank warten ein halber Liter Sahne von glücklichen Kühen und vier Eier von hoffentlich ebenso glücklichen Hühnern auf die Vereinigung. Die Mousse verzeiht keine Halbherzigkeit.

Sie klingelt wie immer. Zweimal. Ich liebe es, ihr aus dem Mantel zu helfen. Sie geht nie langsam. Und wenn Sie dann etwas außer Atem im vierten Stock ankommt, leicht erhitzt ihren Mantel öffnet, dann umschwebt sie eine äußert dezente Wolke von YSLs Opium. Ich weiß nie so genau: Macht sie das für mich oder macht sie das immer? Egal. Ich nehme ihr den Mantel von den Schultern und verharre eine Sekunde - zwei - drei über ihrem Nacken. Den streckt Sie ganz leicht zur Seite. Wie um mir zu zeigen, dass auch Sie diesen Moment genießt.

Vor dem Kochen möchte sie einen Tee. In der Küche plätschert unsere Unterhaltung dahin. Sonst streiten wir über Architektur oder über ihre hehren Ideen von Kunst. Aber heute plätschert es nur müde dahin. Der Wasserkessel unterbricht uns mit seinem Mundharmonika-Ton. Sie schaut amüsiert, als ich den Ton noch etwas klingen lasse, bevor ich den Darjeeling aufgieße.

Wenn mich jemand nach meiner Vorstellung von Glück fragt. Hier ist sie: Richtig heißen, starken Darjeeling in eine ganz dünnwandige, runde Teetasse gießen, auf deren Boden zwei Stücke Kluntje liegen. Dieses Knistern ist Glück. Und genau das sage ich ihr. Glück, erwidert sie, sei ein Freund, der das Knistern zu schätzen weiß.

Nun bin ich mir sicher: Das mit dem Opium macht sie absichtlich. Ihr Freund ist ein stoffeliger Bajuware, der Beuteltee aus IKEA-Bechern trinkt.

Wir machen uns an die Mousse: Schokolade, zwei große Löffel Butter und etwas Kaffeepulver erhitze ich im Wasserbad, sie trennt die Eier. Während sie das Eiweiß wieder zur Sahne in den Kühlschrank stellt. schlage ich das Eigelb mit diesem wunderbaren Soßenbesen auf. Drei Stahldrähte, die gerade aus dem Griff hervortreten und fast so etwas wie einen Löffel formen. Kein Vergleich zum normalen Schneebesen und einfach ideal für die runde Edelstahlschüssel. Das haptische Erlebnis beim Aufschlagen, dieser wunderbare Beginn der Zubereitung hat immer etwas meditatives.

In meine Mousse-Verlorenheit dringt ein Hauch von Opium. Vor meinem Gesicht schwebt ihre Hand, auf dem ausgestreckten Zeigefinger etwas geschmolzene Schokolade. "Gut so?" Das Timing ist in so einem Moment extrem wichtig: Zu lang = platt lüstern, zu kurz = abweisend. Ich entscheide mich für genau 2 Sekunden, innerhalb derer ich ihren Finger von seiner Last befreie. "Genau richtig!" sage ich. Genau falsch, denke ich. Rühr' noch ein paar mal. Lass mich nochmal lecken.

Ich gebe zwei Teelöffel des Whiskey in das Eigelb, stelle die Schüssel ins Eisbad und beginne zu rühren. Sie beginnt die geschmolzene Schokolade hinein zu schaufeln und so entsteht die Grundmasse. Etwas hart, nicht so leicht zu rühren. Aber ein guter Start für die perfekte Konsistenz später.

Jetzt die Sahne. Ein viertel Liter in den - wieder gekühlten - Rührbecher. Nach zwei Minuten fängt sie wieder einmal davon an, dass ihr Freund doch etwas langweilig ist. Was das Sinnliche angeht. Tee und Mousse. Die kommen beide nur in der Tüte. Die Sahne ist inzwischen bombenfest. Diesmal rührt sie und ich schaufele die Sahne in die Masse. Einen neuen Klacks immer erst nachdem der alte schon ganz in der Schokolade untergegangen ist. Der Konsistenz hilft es. Und deshalb will A meine Mousse für das Buffet. In Wirklichkeit kann ich ihr so aber auch länger beim Rühren zusehen. Und das ist im Moment alles, was mich interessiert. Nicht mehr.

Für das Eigelb muss ich alle Rührschüsseln und -geräte abwaschen und -wieder- kühlen. Sie fragt mich: "Warum?" Und ich erkläre, dass nur so das Eiweiß maximal steif wird und zur perfekten Konsistenz beiträgt. Wir streiten etwas darüber, ob das Kühlen wirklich immer nötig ist. Aber schließlich glaubt sie mir und schaut mich mit ihren braunen Augen an. Sie lächelt. Sie will mich nur ein wenig herausfordern. Und sie schaut mich lange an, und zum ersten Mal sehe ich, dass im Braun ihrer Augen goldene Pünktchen sind. "Die sind mir noch nie aufgefallen!" "Macht gar nichts. Meinem Freund auch nicht!"

Das gekühlte Eiweiß schlagen wir in zwei Etappen, sonst ist zuviel flüssige Substanz in der Mousse. Die Konsistenzfrage ist ja nun geklärt und schweigend verarbeiten wir den Rest. Gestern hatte ich bereits zwei Schalen gefroren. Eine große für die Party, eine kleine für uns vorweg.

Nachdem wir die Schalen befüllt und in den Kühlschrank gestellt haben, kommt das, worauf ich mich immer bei der Zubereitung freue: Mit dem Fingerrücken die Rührschüssel ausschaben. Jetzt halte ich ihr den Finger hin. Nach langen drei, vier, fünf Sekunden lässt sie meinen Finger wieder frei. "Gut so?" kommt sie mir zuvor. "Ich habe noch gar nicht probiert", wehre ich ab. Das letzte was ich haben will ist eine Gespielin. Mir wird heiß. Ich will eine Auszeit. Nicht schon wieder Seelenarbeit. Aber natürlich bin ich nicht so konsequent, ihren dargebotenen Finger zu ignorieren. Was ist unverfänglicher? Lippen oder Zungenspitze? Ich entscheide auf Zungenspitze. Das war nicht abweisend genug. Sie fragt: "Mögen Männer das so?" - "Da musst Du schon Deinen Freund fragen." Das gehe nicht, weil der will davon nichts wissen. Sie dürfe nicht mal probieren. Solche Freunde braucht kein Mensch. Denke ich bei mir. Aber ich sage: "Da kann ich Dir jetzt auch nicht weiter helfen." Soweit kommt es noch, dass ich mich in deren horizontale Probleme einmische.

"Ich muss noch einkaufen." sagt sie plötzlich, als hätte sie endlich begriffen, dass ich mehr nicht will. Ich geleite sie zur Tür und halte ihr den Mantel. Anstatt hinein zu schlüpfen dreht sie sich um fragt: "Willst Du mir eigentlich nicht mal Dein Schlafzimmer zeigen?"

Meine Verteidigungslinien sind gebrochen. Alle guten Vorsätze sind dahin. "Ja", sage ich. "Warum hast Du mich dann nicht gleich gefragt?" Ich finde keine Antwort. A's Party muss dann ohne ihr Lächeln und ohne meine Mousse auskommen.

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